Blendwerk statt Performance-Indikator

LinkedIn Algorithmus-Report, Klappe die 28.

Geht es dir auch so? Mein LinkedIn-Feed ist im Moment überflutet mit Beiträge zum Algorithmus-Report von Richard van der Blom Für diesen Report hat sich Herr van der Blom sehr viel Mühe gemacht, Beiträge aus der Vergangenheit hinsichtlich ihrer Wirkung zu testen: Textlänge, Zeitpunkte, Formate etc. wurden analysiert und man leitet daraus nun Gesetzmäßigkeiten ab, wie wir uns in Zukunft verhalten sollen, um auch ähnliche Ergebnisse erzielen zu können.

Warum der Report nicht hilfreich ist

Das hat meiner Ansicht nach aber zwei Denkfehler: Zum einen schauen wir uns dabei an, was in der Vergangenheit funktioniert hat. Es ist ja keine klare „Übersetzung“ des LinkedIn-Algorithmus, sondern eine Interpretation dessen, was wir sehen. Es hat eben durchschnittlich auf eine bestimmte Art und Weise funktioniert. Das lässt außen vor, dass jeder User seine ganz eigenen Bedingungen mitbringt. Unterschiedliche Followerzahl. Bisherige Post-Intensität, Qualität in Profil, inhaltliche Passung zur Positionierung etc. pp.

Ich habe sooft „Wunder“ erlebt: Posts, die quasi gegen alle Regeln erstellt waren, und die trotzdem extrem gut ankamen. Sowohl beim Algorithmus, aber was noch viel wichtiger ist: bei den Menschen, die sie erreichen sollen. Und was der Report auch oft vernachlässigt: Korrelation ist nicht Kausalität. Vielleicht lag es an der Uhrzeit, dass etwas gut performte, vielleicht aber auch an dem bisher strategisch gut aufgebauten Netzwerk, das den Post um diese Zeit zu sehen bekommt. Das könnte bei anderen Usern komplett anders aussehen. Hinzu kommt: Der Report schaut sich die Daten der Vergangenheit an. Wie hat der Algorithmus in den vergangenen Monaten auf Posts der User reagiert? Was der Report dabei vernachlässigt: Der Algorithmus ändert sich. Und er wird sich auch in dem Moment ändern, wenn jetzt viele Menschen sich „algorithmus-report-konform“ verhalten. In dem Moment, wo wir den Algorithmus-Report umsetzen, wird er obsolet und es gelten neue Gesetzmäßigkeiten, die Richard van der Blom nun in den nächsten Wochen und Monaten auswerten darf – damit wir uns neuen Regeln unterwerfen.

Du ahnst schon, worauf ich hinauswill. Lass den Algo sein, was er ist: Gesetzmäßigkeiten für die Maschine. LinkedIn muss einen Filter einbauen, damit wir nicht im Millisekundentakt neue Beiträge in den Feed gespült bekommen. Es braucht einen Zwischenschritt, damit es für uns als Leser noch spannend ist. Und dieser Filter heißt Relevanz. Das bewertet LinkedIn immer wieder neu, je nachdem wie wir uns dort verhalten. (PS: die Tatsache, dass dort nun immer mehr belanglose KI-genierte Posts erscheinen, verändert auch deinen Feed – und ich wage zu behaupten, nicht immer positiv.) Letztlich siehst du aber selbst am besten, ob du relevant bist für deine Leser. Nämlich daran, ob sie darauf reagieren. Denn auch das konnte man über die Jahre beobachten. Auch wenn die Reichweite in den letzten 2-3 Jahren massiv eingebrochen ist: Die Interaktionen bleiben stabil. Wenn deine Inhalte für „deine“ Menschen taugen, werden sie weiterhin darauf reagieren.

Was sagt uns die Reichweite?

Das bringt mich dann auch zu einem weiteren Gedankengang: Stell dir vor, LinkedIn würde die Zahl der Views (Impressions, Reichweite) nicht mehr anzeigen. Nur noch die Interaktionen blieben sichtbar. Denn, Spoiler: ich glaube ohnehin, dass die Zahl der Reichwiete nichts aussagt. Wieviel Menschen könnten theoretisch den Beitrag in ihrem Feed wahrgenommen haben? Hilft mir nicht. Und der Wert scheint mir auch oft gewürfelt. Die Zahl ist absolut gesunken, das ist höchst demotivierend, weil man sich ja immer wünscht, dass man gut ankommt mit seinen Themen. Aber die Reaktionen sind doch immer noch ähnlich wie zu Zeiten hoher Impressions. Und spätestens wenn man sich die Zahl der Views zu Kommentare anschaut, merkt man, wie absurd das ist. Ich habe nicht selten erlebt, dass ein Kommentar mehr Views als der Hauptbeitrag dazu bekommen hat. Oder dass ich bei einem Kommentar im Stile von „toller Beitrag“ eine vierstellige Reichweite einfahre (auch wenn der ganze Post nur drei Likes hatte), und anderswo mit einem qualitativ hohem Kommentar mit 2-3 Views vor mich hindümpele, auch wenn der Post scheinbar durch die Decke gegangen ist. Das scheint mir doch sehr eine Mondzahl zu sein.

Deshalb stellt sich wirklich die Frage: Brauchen wir diese Kennzahl? Verwirrt sie nicht mehr, als dass sie steuert?

Oder eben auch: Was würden wir anders machen, wenn wir die Reichweite nicht kennen würden? Würden wir unsere Strategie anders gestalten? Ich glaube nicht.

Denn: Impressionen bedeuten nicht:

  • Ich werde gesehen.
  • Ich mache es richtig.
  • Ich bin relevant.

Es ist eine bloße Zahl, der wir oft hinterherjagen, die uns aber nicht wirklich weiterhilft.

Wenn diese Kennzahl wegfiele, würden wir uns:

  • weniger vergleichen
  • weniger performen
  • weniger optimieren
  • weniger „Content fürs System“ machen
  • und viel weniger den Algorithmus fetischisieren
 
Dann können wir uns auf das fokussieren, was wirklich wichtig ist. Relevanz.